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Müssen wir wirklich alles selbst machen?


Ihnen geht es wahrscheinlich wie mir: Das Home Office ist in den letzten Wochen zu unserer neuen Spielwiese geworden. Wie benommen rüsten wir unsere Schreibtische auf als müssten wir ein Fernsehstudio nachbauen. Ein einfacher PC-Bildschirm mit einer Webcam oben drauf war früher. Heute ist Green Screen, LiveStreaming, Open Broadcast Software (OBS), mindestens ein zweiter Bildschirm, eine Spiegelreflex als zweite Webcam, Stereomikrofone nicht unter Roede- oder Shure-Qualität. Zoom, MS Teams, LinkedIn, GotoWebinar, wir haben uns in alle Kommunikations-Plattformen reingefuchst, lassen Apps wie Canva unsere Logos freistellen, über Videoschnitt-Programme wie movavi, filmora oder iMovie Trailer produzieren, gegen die der Vorspann für den "Tatort" in der ARD ein langweiliger Schinken ist. Wenn Sie gerade nicht wissen, wovon ich überhaupt spreche: Keine Sorge, Sie kommen auch noch dahin.


Ich darf die Tage, die mit diesem Zeugs verbringe, gar nicht zählen - meist mit heruntergelassenen Jalousien und fernab der Welt, weil sich mit Kunstlicht das Gesicht bei Kameraaufnahmen besser ausleuchten lässt. Die "Do-it-yourself"-Bewegung, irgendwann mal in Baumärkten erfunden, feiert fröhliche Urständ und hat mein Arbeitszimmer voll im Griff. Es passiert hier etwas, was die Online-Welt mir seit langem versucht beizubringen: Du kannst alles alleine: Videos erstellen, Logos und Geschäftsausstattung bauen, Fotos bearbeiten, Online-Konferenzen organisieren, Präsentationen mit tausend Schnickschnack-Effekten basteln, Bücher in druckreifem Format schreiben, Pressetexte aus Bausteinen wie bei Lego zusammenschustern, geile Musik komponieren, Visitenkarten drucken. Das kennen wir wie gesagt aus fast allen Branchen seit langem: Wir werden in diese Rollen regelrecht hineingeschubst als Bastler, als Schrankzusammenbauer, als Heimwerker, als Küchenbauer, als Autohersteller - selber machen, selber tun, selber alles können. Die Arbeitsteilung, die wir früher mal gehabt haben, fällt in sich zusammen. Früher gab es für all diese Dinge Experten - Agenturen, Selbstständige, Firmen, die das für uns erledigt haben.


Natürlich ist das finanziell alles hoch attraktiv: Bei einem meiner früheren Arbeitgeber habe ich für eine Führungskräftetagung einen Filmtrailer in Auftrag gegeben, der damals mit 60.000.- D-Mark zu Buche schlug. Heute finde ich im Netz Dutzende cooler Animationen, die im Jahreabo für 145.- Euro zu haben sind. Und trotzdem sind wir mit dieser ganzen Do-it-Yourself-Choose auf dem falschen Weg: Erstens nehmen wir Selbstständigen und kleinen Firmen Arbeit weg; zweitens sind wir spätestens bei der ersten Fehlermeldung mit unserem Latein am Ende; drittens verplempern wir hunderte von Stunden unseres Lebens, weil wir viel zu lange für einzelne Projekte benötigen; viertens fehlen uns fast immer Grundkenntnisse irgend welcher Art; fünftens liefern wir keineswegs Qualität, sondern ziemlich halbfertigen Schrott ab, auf den wir stolz sind, der aber mit dem, was Profis für uns leisten, nicht mithalten kann. Was uns spätestens dann auffällt, wenn Profis uns die Fehler zeigen.


Ich werde mich ab jetzt wieder darauf besinnen: Es gibt für die meisten Dinge, auch im Internet, Experten, Profis, die das alles viel besser können als ich. Auf die Versprechen, in wenigen Klicks und es sei ganz einfach und nur hier drücken und dort anmelden und dann kaufen und schon sei ich Profi, werde ich viel vorsichtiger reagieren als früher. Denn in den letzten Wochen wurde mir klar: Online irgendwas zu produzieren macht mich weder zum Video-, noch zum Filmprofi, weder zum Mediengestalter, zum Lektor oder Designer, weder zum Graphiker noch

zum Tontechniker, weder zum Beleuchter noch zum Kameramann. Hierfür gibt es Profis und Experten, an die wir uns hin und wieder gerade in diesen Zeiten erinnern sollten.

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